„Bildung kommt von Bildschirm und nicht von Buch, sonst hieße sie ja Buchung.“ Dieser Satz stammt von Dieter Hildebrandt. Der geniale Kabarettist ist im November 2013 verstorben. Leider! 

 

Bildung kommt von Bildschirm. So dachten wohl auch die Initiatoren meiner letzten Weiterbildung und setzten die Bildungswilligen kurzerhand allein vor einen Bildschirm. Nun bildet euch mal! Und um noch einmal auf den Satz von Dieter Hildebrandt zurückzukommen: Ich sollte also lernen, wie man bucht. Leider ohne Buch und ohne Lehrer. Selbststudium. 8 Stunden täglich. Nur ein Bildschirm und ich. Leider nicht einmal allein in einem Raum, sondern mit anderen Teilnehmern zusammen. Jeder lernte für sich und jeder lernte etwas anderes und keiner beaufsichtigte das. 

 

Ich bekam einen Plan, auf dem stand, welches Modul ich mir selbständig erarbeiten sollte. Dazu eine Zeitangabe in Unterrichtsstunden á 45 min. Jeder Tag hatte 8,5 dieser Unterrichtsstunden, fing 8:00 Uhr an und hörte 15:05 Uhr auf. Ja, auf diese 5 min wurde großen Wert gelegt – auf die übrige Zeit nicht. Die Lernwilligen und –unwilligen kamen morgens wann sie wollten – nur nicht 8:00 Uhr. Bei vielen begann der Tag mit der Zigarette vor dem Gebäude. Dann führte der nächste Weg direkt in die ungepflegten Kaffeeküchen oder an den Kaffeeautomaten – falls der nicht wieder einmal streikte, weil die Milch alle war. Mit Kaffeebecher und Handy bewaffnet ging es nun an den Arbeitsplatz – jedoch nur, um dort den Kaffee abzustellen. Danach wurde die Toilette aufgesucht und im Anschluss erst einmal gesimst und telefoniert, was der Akku des Handys hergab. Die meisten Frauen beherrschten die letzten beiden Tätigkeiten gleichzeitig, weshalb man auch auf der Toilette kaum ein ruhiges Örtchen vorfand.

 

Zurück am Platz, formierte sich der erste Zug der Raucher und marschierte unter lautem Knallen der Türen schnatternd zum Fahrstuhl, denn Treppensteigen war genauso verpönt, wie grüßen. Da wir alle in irgendwelchen Gemeinschafts- oder Durchgangszimmern saßen, erkannte nun auch der Letzte, der sich bis jetzt zur Aufgabe gestellt hatte, durch Selbststudium zum Erfolg zu gelangen, dass das nichts wird. Erst einmal stand er auf und macht hinter dem Schlusslicht des Rauchertrupps die vergessene Tür wieder zu, dann das Fenster auf. Das fiel aber sogleich wieder zu, denn erneut wurde die Tür aufgerissen, weil jemand von den Rauchern sein Handy vergessen hatte. Wieder blieb die Tür offen. Bis zum Feierabend kam ich auf ca. 160 mal Tür auf und Tür zu, wobei man diese Zahl mal zwei nehmen muss, weil es zwei Türen gab, die in den Raum, in welchem ich saß, hinein- bzw. heraus führten. Inzwischen waren die Raucher wieder da – jeder einzeln. Jacke und Zigaretten wurden am Platz abgelegt und ab ging es zur Toilette (auch wieder einzeln – die Frauen in Zweiergrüppchen), von dort aus wieder zurück zum Arbeitsplatz und gleich im Anschluss wieder zur Kaffeeküche (nicht zwingend in dieser Reihenfolge).

 

Inzwischen war Mittagszeit und man überlegte, ob man zum Chinesen geht oder lieber zum Bäcker. Man überlegte laut, während man durch die Zimmer mit den vereinzelt und ratlos vor dem Computer sitzenden Selbststudierenden trappelte. Der Geruch 10 min später verriet, dass man sich für Kebab und reichlich Knoblauchsoße entschieden hatte. Das betraf jedoch nur die Männer. Die Frauen hatten keine Zeit fürs Essen. Sie mussten dringend telefonieren und pinkeln. Deshalb begnügten sie sich mit einer schnell gebrühten Suppentasse. Der Maggi-Geruch vermischte sich mit dem des Kebabs. 

 

Nach dem Essen tauschten die Frauen Handy-Bildchen ihrer Zwei- und Vierbeiner aus oder sahen sich Kurzvideos auf ihren Handys an, wobei sie den Ton schön laut stellten. Sämtliche Partnerprobleme wurden zu dem Zeitpunkt untereinander und hörbar für jeden zufällig Vorbeikommenden ausdiskutiert. Die Männer waren nach dem schweren Essen träge geworden und verließen den Platz nur noch alle 10 min, um zu rauchen. Da Frauen Herdentiere sind, schlossen sie sich jedes Mal an, auch, wenn sie gerade vom Rauchen zurückgekommen waren und allen Zurückgebliebenen soeben mitgeteilt hatten, dass sie dabei fast erfroren sind. 

 

Eine Dreiviertelstunde vor Feierabend setzt noch einmal der Countdown ein. Es wird geraucht, als gäbe es kein Morgen mehr und gepinkelt, als würde am nächsten Tag der Toilettengang auf zweimal pro Tag und Person begrenzt. Die ersten versuchten auch schon, sich auf der Anwesenheitsliste, die im Zimmer der Lernberater aushingen, auszutragen. Das gestaltete sich aber schwierig, weil das Zimmer laufend verschlossen war. 

5 min vor Schluss war der Lernberater nun plötzlich wieder da und bewacht die Anwesenheitsliste wie sein Augenlicht (Außer freitags, da stellte er die Tafel mit der Liste einfach vor sein Zimmer und wurde nicht mehr gesehen. Infolgedessen waren die meisten Teilnehmer 1 min später ins Wochenende verschwunden.)

 

Ja, es gab Lernberater. Zwei! Meist war aber nur einer der beiden da. So kam es, dass der Raum der Lernberater oft verschlossen war, weil die Fachkraft im Haus unterwegs oder einfach nicht da war. So genau wusste das niemand. Verschließen musste man jede Tür und jedes Fach, weil öfter geklaut wurde. Leider befanden sich in unserem Raum keine verschließbaren Fächer, so dass immer einer im Zimmer bleiben und aufpassen musste. Garderobenständer gab es auch nicht. Die Mäntel hingen über der Stuhllehne. Man musste allerdings aufpassen, dass sie nicht auf dem Fußboden schleiften, denn der war sehr schmutzig und wurde auch nicht gereinigt. Weil es keine verschließbaren Räume oder Fächer gab, aßen die meisten am Arbeitsplatz und nahmen dabei wenig Rücksicht auf die Ausstattung. Reste von Essen und Kaffee wurden scheinbar einfach auf dem Boden entleert. Jedenfalls sah es so aus. Man hätte auch in den kleinen Küchen und Aufenthaltsräumen essen können, vorausgesetzt man besaß keine natürliche Ekelgrenze. 

 

Nach jedem Modul folgte eine zweistündige Kontrolle, die man nur mit gut strukturiertem Spickzettel erfolgreich abschließen konnte. Einige googelten über ihr Handy die Lösungen. Wieder andere schlugen einfach die mitgebrachten Hefter auf und schrieben die Lösungen ab. 

Nach Abschluss des zweiten oder spätestens dritten Moduls merkte auch der Letzte, dass er die Anzahl der Module in der vorgegebenen Zeit unmöglich durcharbeiten konnte und beschränkte sich auf die wichtigsten davon. Die zeitraubenden LKs wurden ebenfalls weggelassen oder stark reduziert. Gestört hat das niemanden.

 

Von anfänglich 10 neuen Bildungsinteressierten, schleppten sich nach zwei Monaten höchstens noch 3 durch. Der Rest machte Kasse oder verschwand einfach. 

 

Der junge Mann, der mit mir im Zimmer saß, kam zwei oder dreimal. Als erster sah er sich im Internet erst mal die Sportberichte vom Vortag an. Dann erzählte er uns kurz, wie viele solche sinnlose Weiterbildungen er schon angefangen und abgebrochen hatte und dann sahen wir ihn nicht wieder.

Die junge Frau, die noch im Zimmer saß, ruhte nach jeweils 30 min erst einmal auf ihren gefalteten Armen aus und machte mindestens zweimal während der Weiterbildung krank. Ansonsten googelte sie viel, manchmal unterhielten wir uns. Sie war nett. 

Das Material, welches mir auf dem Computer zur Verfügung stand, war total veraltet und zudem fehlerhaft. Es wurde sogar noch mit der alten Mehrwertsteuer gerechnet. Die Vorträge (Videos) waren schlecht im Material und im Inhalt. Erklärt wurde nichts. Die Lernberater, von denen einer für mich zuständig war, waren nicht da oder hatten keine Zeit. Ich musste zwei Tage warten, bis der Lernberater Zeit für mich fand. Solange konnte ich aber nicht bei dem Modul verweilen, denn die Zeit war ohnehin zu knapp berechnet. Hinzu kam, dass die Stundenanzahl, die für meine Module im Plan berechnet war, nicht stimmte. Mir standen weniger Stunden zur Verfügung. Bis der Lernberater Zeit für mich fand, konnte ich mich schon nicht mehr erinnern, was ich fragen wollte.

Also ließ ich es das nächste Mal gleich sein. Zuhause setzte ich mich hin und versuchte, im Internet Hilfe zu finden.

Um es kurz zu machen: Buchhaltung sich selbst beizubringen, ohne dass es einem jemand erklärt, ist unmöglich – für mich. Ich habe mich redlich gequält, aber schon wenige Wochen später war alles aus meinem Kopf wieder raus. Die Module habe ich nicht alle geschafft, obwohl ich wahrscheinlich die Einzige war, die die Zeit dort so gut es möglich war ausgenutzt hat. Nur zwei kurze Kaffee- und Esspausen, ansonsten habe ich gelernt. Konzentration war bei dem ständigen Kommen und Gehen kaum möglich. 

Es gab übrigens auch – laut Vertrag – eine Bibliothek. Ich fand sie nur nicht. Am Ende stellte sich heraus, dass es sich um ein paar veraltete Nachschlagwerke handelte, die sich in dem fast immer verschlossenen Raum der beiden Lernberater befanden. Als ich nach neueren Nachschlagewerken fragte, bekam ich zur Antwort, da stände doch eh immer das Gleiche drin. 

Ich schloss den Lehrgang/die Weiterbildung mit „sehr gut“ ab. Dabei habe ich nicht einmal den Jahresabschluss in der Buchhaltung geschafft und heute weiß ich rein gar nichts mehr davon. 

 

Die Inhalte dieser Webseite sind urheberrechtlich geschützt. Es ist nicht erlaubt, Bilder, Texte und andere Inhalte dieser Website zu kopieren und an anderer Stelle im Internet oder in anderen Medien zu veröffentlichen. Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehme ich keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für die Inhalte einer verlinkten Seite ist ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.

Nach oben